3. Hersbrucker Sozialforum 2012

 

3. Hersbrucker Sozialforum 2012

 

Wilde Zeit mit vielen Verlockungen

Von: Klaus Porta



HERSBRUCK — Sitzen im Dschungel der Pubertät heute mehr wilde Tiere? Sind unsere Kinder deshalb anfälliger für Depressionen und andere psychische Erkrankungen? Und wie können wir sie unbeschadet durchs Dickicht führen? Fragen über Fragen, denen beim 3. Hersbrucker Sozialforum des Bündnisses für Depression im Nürnberger Land unter dem vielsagenden Titel „Pickel, Panik und Protest“ eine illustre Expertenrunde nachging.

Gefahren lauern viele auf Teenager in der „wilden Zeit“ der Pubertät. Seien es die Lockungen von Alkohol und Drogen oder die noch viel größeren des Internets - von Ego-Shooter-Spielen bis hin zur Pornographie. „Alles ist heute viel leichter erreichbar“, sagt Jürgen Wolfrum, seit 2009 als Leiter des Hersbrucker Jugendtreffs meist „ganz nah dran“ an den Heranwachsenden. „Ein Handy und damit das Internet hat heute fast jeder in der Hosentasche, Bier und Schnaps sind rund um die Uhr zu bekommen.“


Umfeld bricht weg

Auf der schwierigen Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft kämen Jugendliche schon mal ins Straucheln, wenn zu den ohnehin vorhandenen Ängsten auch noch chronische Belastungen kommen - wie Mobbing durch die Klassenkameraden, eine Sucht oder die Scheidung der Eltern. Wo früher Familie, Freunde oder Nachbarn in diesen Situationen helfend zur Seite standen, sei heute oft genug niemand mehr. „Das Umfeld bricht weg, deshalb brauchen die Jugendlichen mehr Hilfe“, befand Wolfrum.

Silke Naudiet kennt dieses - schwierige Terrain - nur zu gut: Als sie 1994 die Leitung der Erziehungs- und Beratungsstelle in Lauf übernahm, hatte sie mit rund 300 Anfragen im Jahr zu tun, heute sind es gut 1000. „Die Zahl der Scheidungsfamilien hat enorm zugenommen“, sagte die Psychologin. Ebenso gestiegen sei aber auch die Bereitschaft, sich Hilfe zu suchen. Die geben Naudiet und ihre Kollegen in gemeinsamen Gesprächen mit Eltern und Kindern. Häufig fungieren sie dabei auch nur als wertvoller „Übersetzer“ zwischen beiden Seiten.


„Ohne Eltern geht es nicht“

Eine wichtige Schaltstelle ist für viele auch die Schule. Für zu viele, findet Georg Fleischer, seit 13 Jahren Direktor des Paul-Pfinzing-Gymnasiums: „Wir können nicht der Reparaturbetrieb für alles sein.“ Dennoch: Mit Schulpsychologen, deren Türen immer offen sind, oder mit Experten von außen, etwa für das heikle Thema der neuen Medien, stünden den Mädchen und Jungen am PPG viele Hilfsangebote offen. „Ohne Zusammenarbeit mit den Eltern aber geht es nicht. Wenn die Kinder bis nachts um zwei vor dem Computer sitzen, können sie am nächsten Tag dem Unterricht einfach nicht folgen.“ Dann von Leistungsdruck zu reden, sei unredlich.

Vor den Gefahren der neuen Medien warnte auch Oberarzt Dr. Andreas Beck von der psychosomatischen Station für Kinder und Jugendliche und Institutsambulanz der Klinik Nürnberg. Setzen sich Jugendliche direkt nach der Schule „zur Erholung“ erst einmal ein paar Stunden vor den PC, sei das absolut kontraproduktiv: „Computerspiele und Surfen bringen sicher viel Spaß, wegen der vielen neuen Informationen allerdings überschreibt unser Gehirn das eben im Unterricht Gelernte einfach - die Festplatte wird gelöscht.“

Andererseits sei trotz aller Verlockungen kein Plus an psychischen Erkrankungen zu verzeichnen, sagte Beck. Verlässliche Studien gehen von einem ähnlichen Niveau wie in den vergangenen drei Jahrzehnten aus. Zu einem ähnlichen Befund kam auch Bündnis-Vorsitzender Dr. Alfred Schubert in seiner kurzen Einführung in den Abend, in der er einen kurzen Überblick über depressive Störungen im Kinder- und Jugendalter gab.

Wenn Oberarzt Beck heute auf seiner Station dennoch auf mehr jugendliche Patienten als früher trifft, läge das vor allem daran, dass „die Schamgrenze gesunken ist“, seine Dienste deshalb öfter in Anspruch genommen werden. Eine „massive Steigerung“ hat er dagegen bei verhaltensauffälligen Jugendlichen ausgemacht - meist im Zusammenhang mit exzessivem Alkoholmissbrauch.


Rechtliche Handhabe fehlt

Der ist auch Wolfrum ein Dorn im Auge, wenngleich er oftmals tatenlos zusehen muss, wie sich Jungen und Mädchen vor dem Jugendtreff „volllaufen lassen“ - weil ihm dort schlicht und einfach die rechtliche Handhabe fehlt.

Ein allzu düsteres Bild wollte freilich keiner der vier Experten malen, auch wenn Caritas-Geschäftsführer Michael Groß sie als Moderator immer wieder mit provokanten Fragen aus der Reserve zu locken versuchte. Jürgen Wolfrum wünscht sich „mehr Struktur von oben nach unten“ und den Kindern „feste Rituale“ statt einem „alles ist möglich“. Georg Fleischer forderte die Eltern auf, das offene Gespräch mit ihren Sprösslingen zu suchen und ruhig auch den „Mut zu haben, sie zu kontrollieren“.

Eltern sollten Heranwachsenden Primärtugenden wie Pünktlichkeit und Respekt vorleben und vermitteln, riet Dr. Beck, und „besser ihrem Bauchgefühl vertrauen als auf den x-ten Erziehungsratgeber zu hören“. Und Silke Naudiet erinnerte daran, dass „sehr viele Eltern ihre Kinder gesund durch die Pubertät bringen“. Ein Patentrezept dafür gebe es nicht, es helfe aber, die Augen offen zu halten, sich für seine Kinder zu interessieren und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen - am besten schon, bevor die Kleinen in die Pubertät kommen.




 

Donnerstag, 21. Juni 2012

 
 
Erstellt auf einem Mac

Weiter >

< Zurück